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Joachim Patinir: Landschaft mit der Flucht nach Ägypten

Joachim Patinir: Landschaft mit der Flucht nach Ägypten

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Das Gemälde lässt sich grob in drei Bereiche aufteilen, die sich wie unterschiedliche Kapitel einer Reise vor dem Betrachter entfalten.

Links erhebt sich ein mächtiges Hügelmassiv, das sich bis hoch in den Himmel schiebt und diesen Teil des Bildes fast vollständig ausfüllt. Die Felsen und Erhebungen sind in einem Spektrum von Braun- und Grautönen gehalten, die am Fuß des Hügels dunkler und nach oben hin heller wirken – fast so, als würde das Licht der Ferne das Gestein sanft bleichen. In der Mitte und ganz am linken Rand ruht auf einem dunklen Stein ein bronzefarbener Gegenstand, dessen genaue Funktion oder Bedeutung sich nicht sofort erschließt – er wirkt wie ein rätselhaftes Detail, das zur genaueren Betrachtung einlädt.

Unten im Vordergrund wandert Josef, der Ziehvater Jesu, mit einem Esel, auf dessen Rücken Maria, die Mutter Jesu, sitzt und in ihren Armen das Jesuskind hält, den Hang hinauf. Die Szene bezieht sich auf die biblische Erzählung der Flucht nach Ägypten (Matthäus 2,13–15), in der Maria und Josef mit dem neugeborenen Jesus vor der drohenden Verfolgung durch König Herodes fliehen. Marias Kleid ist oben in strahlendem Weiß und unten in kräftigem Blau gehalten – ein Kontrast, der sie deutlich vom erdigen Hintergrund abhebt. Die Kleidung Josefs hingegen verschmilzt nahezu mit den Farbtönen der Landschaft und tritt weniger hervor. Wie auch alle anderen dargestellten Menschen im Gemälde tragen beide Kopfbedeckungen, die den Figuren einen zeittypischen Charakter verleihen.

Rechts öffnet sich die Szene zu einer lichteren Landschaft. Etwa in der horizontalen Bildmitte liegen einige Häuser mit spitzen Dächern, in hellen Brauntönen gestaltet. Daneben erstreckt sich ein bestellter Acker, umgeben von Wiesen und kleinen, geschwungenen Wegen. Zwischen diesen Flächen sind winzige Figuren bei der Arbeit zu sehen – Menschen, die ihre Felder bestellen oder sich bewegen, jedoch so klein und entfernt, dass ihre Gesten kaum zu erkennen sind. Am rechten Rand liegt ein kleiner Teich oder See, in dessen stiller Wasseroberfläche sich Licht spiegelt; darin gleiten zwei weiße Schwäne ruhig dahin. Umschlossen wird dieser Teil der Szenerie von einem Kranz aus Bäumen in dunkleren Grüntönen, die sich bis hinter die Häuser ausbreiten. Dahinter öffnet sich eine weitläufige, sanft gewellte Wiesenlandschaft in helleren Grüntönen. Zwischen den Wiesen und den Hügeln auf der linken Seite scheint ein Schatten zu liegen – vielleicht ein natürlicher Schattenwurf oder eine atmosphärische Verdunkelung, die Tiefe schafft.

Der Hintergrund entfaltet sich in kühlen Blautönen. Hinter den Hügeln auf der linken Seite glitzert ein Gewässer, möglicherweise das Meer. Es grenzt sich in der Bildmitte durch einen Übergang in ein tieferes Blau ab und führt nach rechts hin in eine dunklere, baumbestandene Wiesenlandschaft. Diese Fläche ist in dunklen Grüntönen gehalten, in die sich stellenweise bläuliche Nuancen mischen. Dahinter erhebt sich ein Gebirge, das in ähnlichen Blautönen wie das Meer erscheint, nach hinten hin jedoch immer heller und zarter wird – bis es im atmosphärischen Dunst fast verschwindet.

Der Himmel schließlich formt einen harmonischen Abschluss: Von oben in kräftigem Blau gehalten, hellt er sich zur Horizontlinie hin zu einem weichen Weiß auf. Über dem rechten Teil der Szene treiben weiße Wolken vor dem Blau, als würden sie sich langsam über das Land bewegen.

Patinir verbindet in dieser Komposition die biblische Geschichte mit einer ausgedehnten, vielschichtigen Landschaft, die nicht nur als Hintergrund dient, sondern selbst zum Erzähler wird – von der Enge der Hügel über die belebte Dorfszenerie bis zur Weite des fernen Horizonts.